Definition Narzisstische Neurose
Die Bezeichnung Narzissmus geht auf den griechischen Mythos vom Knaben Narziss zurück, der sich in sein eigenes Spiegelbild in einer Quelle verliebte und verzweifelt erkennen musste, dass das Spiegelbild nicht greifbar war. Als narzisstische Neurose wird eine Neuroseform bezeichnet, bei der im Zentrum eine Krise des Selbstwertgefühls steht. Die von einer narzisstischen Neurose Betroffenen bemühen sich immer wieder, zu einem besseren Selbstwertgefühl zu gelangen, jedoch auf eine eher unbefriedigende und unzureichende Art und Weise. Narzisstisch wird eigentlich nicht im Sinne von Selbstverliebtheit verwandt, wie man es aus dem oben erwähnten Mythos vom schönen Knaben Narziss ableiten könnte, sondern vielmehr als Bedrohtheit des Selbstgefühls. Üblicherweise wird dieser Begriff jedoch auch häufig zur Beschreibung von egozentrischen und egoistischen Menschen verwandt, z. B. in der Vorstellung des „narzisstischen Künstlers“, dessen Glaube an seine Genialität und seine Möglichkeiten oft die Voraussetzung seiner Kreativität zu sein scheinen. In diesem Sinne wäre der Maler Salvador Dali „narzisstisch“. Der Begriff narzisstische Neurose beinhaltet jedoch eine fast ständige innere Anspannung zwischen dem Pol der Minderwertigkeitsgefühle und Selbstunsicherheit und dem Pol des überzogenen Selbstgefühls und der Arroganz.
Das kritische Alter für die Entstehung einer narzisstischen Neurose ist die sensible Phase zwischen dem 4. und 7. Lebensjahr. In diesem Alter braucht das Kind Schutz, Konstanz, Ermunterung und Unterstützung, um das noch labile Selbstwertgefühl zu festigen und die Selbstwertregulation zu erwerben und zu stabilisieren. Bei dem später an einer narzisstischen Neurose Erkrankten sind die Störungen in der Ursprungsfamilie eher fein, unterschwellig und atmosphärisch als offensichtlich oder traumatisierend. Das Kind wird häufig nicht ausreichend wahrgenommen und in seinen Bedürfnissen nicht unterstützt, oder es kommt zu einer Überforderung in dem Sinne „das es aus den Kinderschuhen herausgewachsen ist und nicht mehr so viel Bemutterung braucht“.
Häufig findet man in den Ursprungsfamilien noch eine andere Struktur. Das Kind lernt sozusagen als Modell am Verhalten seiner Eltern Tricks, geschickte Täuschungen, Manipulationen oder gar Lügen. Die Atmosphäre in der Familie ist sehr widersprüchlich, d. h. nach außen „glänzend und in Ordnung“, in Wirklichkeit jedoch unklar, angespannt und verunsichernd. Nicht selten ist es eine Atmosphäre der doppelte Botschaften, das bedeutet, dass verbale Aussagen im Widerspruch zum Verhalten der Bezugspersonen stehen. Das Kind hat dann Schwierigkeiten, sich eindeutig zu orientieren und erlernt die Verhaltensweisen, die ihm am meisten Vorteile einbringen. Auf diese Weise entsteht die Egozentrität, die Neigung zum geschickten taktieren mit wenig Rücksicht auf andere und die vordergründig ausstrahlende emotionale Kälte.
Symptomatik der narzisstischen Neurose:
Zentrales Symptom ist ein sehr labiles Selbstwertgefühl, wobei die von der narzisstische n Neurose Betroffenen dann einen Leidensdruck entwickeln, wenn psychische oder physische Symptome sich manifestieren. Diese stellen sich z. B. durch Älterwerden, berufliche Kränkungen oder emotionale Belastungen durch Partnerschaftskrisen ein. Wenn die Leistungsfähigkeit im Beruf nicht mehr im gewohnten Maße gegeben ist, schwankt das labile intrapsychische System ebenso, wenn die Ich-Bezogenheit des Menschen der an narzisstischer Neurose erkrankt die Partnerschaft derart belastet, dass es zur Trennung kommt.
Auf der Symptomebene finden sich oft Gefühle von Leere und Sinnlosigkeit sowie eine ausgeprägte Selbstwertunsicherheit. Der Mensch hat das Gefühl, nichts in sich zu haben, nichts zu sein und nichts wert zu sein. Das Gefühl der Leere sowie die Unfähigkeit, Gefühle, hier insbesondere Freude zu empfinden, wird von vielen Patienten als qualvoll erlebt. Sie empfinden sich als „anders, als fremd und nicht menschlich“. Als weitere Phänomene finden sich häufig eine erhöhte Verletzbarkeit und Kränkbarkeit sowie eine egozentrische Einstellung. Die charakteristische Haltung der von einer narzisstischen Neurose Betroffenen ist eine Unbezogenheit anderen Menschen gegenüber, die nach außen als Egoismus und Arroganz in Erscheinung tritt. Ehrgeiz und übersteigerte Ansprüche an sich selbst führen zu einer realen beruflichen Überforderung, die schließlich, insbesondere wenn die von außen kommende Anerkennung ausbleibt, in ein Erschöpfungssyndrom mündet. Hier werden jedoch nicht die eigenen Anteile gesehen, sondern äußere Umstände, wie Arbeitskollegen, der Vorgesetzte, die Struktur des Betriebes etc. verantwortlich gemacht. Die depressiven Verstimmungen wirken vordergründig flach bis oberflächlich, so dass der Leidensdruck und auch die Verzweiflung angesichts der Antriebslosigkeit, Entschlusslosigkeit und Entscheidungsschwierigkeiten für den Außenstehenden wenig spürbar ist.
Auf der somatischen Ebenen können körperliche Beschwerden völlig fehlen, aber auch sämtliche Organe betreffen. Schlafstörungen sind häufig ein Initialsymptom, ebenso häufig findet sich eine funktionelle Herzsymptomatik, die als extrem bedrohlich erlebt wird, Kopfschmerzen sowie Sexualstörungen. In kompensierten Phasen wirken die von der narzisstischen Neurose Betroffenen durchaus lebendig, charmant und bestrickend, verfügen über gute Umgangsformen, haben ein ansprechendes Äußeres und gepflegte Kleidung. Dabei geht es eigentlich darum, dass eigene Selbstwertgefühl durch diese Äußerlichkeiten zu kräftigen und zu stützen.
Narzisstische Neurose: Generelle Therapiemöglichkeiten
Soweit Indikationskriterien erfüllt sind, wird eine analytische Psychotherapie durchgeführt, je nach Ausprägungsgrad der Störung ambulant oder stationär. Hierbei geht es darum, den Betroffenen einen Einblick in die psychologischen Zusammenhänge zu ermöglichen und diese bewusst zu machen. Hier ist es wichtig, dass zwischen dem Betroffenen und dem Therapeuten/der Therapeutin eine tragfähige therapeutische Beziehung entsteht, in der sowohl die Idealisierungstendenzen des Betroffenen, aber vor allem auch die Entwertungstendenzen zum Thema werden und somit bearbeitet werden können. Auch hier ist es sehr wichtig, dass der Betroffene von seinem Therapeuten affektiv erreicht wird, indem er auch mit Ängsten und Konflikten in Berührung kommt und lernen kann, diese mit therapeutischer Unterstützung auszuhalten.
Psychopharmaka können bei Patienten, die von Narzissmus betroffen sind, in Krisensituationen vorübergehend indiziert sein, eine Langzeittherapie mit Substanzen, die ein hohes Abhängigkeitspotential aufweisen, z. B. Benzodiazepine, ist unbedingt zu vermeiden. Mittel- und niederpotente Neuroleptika sind angesichts der Gefahr der Spätdyskinesien kritisch und vorübergehend einzusetzen. Bei Patienten mit dieser Störung sollte eine pharmakologische Behandlung nie isoliert, sondern immer gemeinsam mit psychotherapeutischen Interventionen erfolgen.
Narzisstische Neurose: Stationäre Behandlung in der Hardtwaldklinik II
In der Anfangsphase der Behandlung geht es darum, dass zwischen der Patientin/dem Patienten und der Bezugstherapeutin/dem Bezugstherapeuten eine tragfähige therapeutische Beziehung entstehen soll. Das Therapieprogramm wird auf die vorliegende Art der Störung abgestimmt und gemeinsam festgelegt. Dies bedeutet, dass begleitende Maßnahmen wie ein Entspannungsverfahren, sportliche Aktivitäten etc. vereinbart werden.
Gruppenpsychotherapie:
Die Gruppenpsychotherapie ist Hauptbestandteil der Behandlung der Hardtwaldklinik II. Hierbei handelt es sich um analytisch orientierte, aber auch interaktionelle Gruppen mit zwei Sitzungen pro Woche à 90 Minuten. In den analytisch orientierten Gruppen soll ein psychodynamisches Verständnis für die Verursachung einer narzisstische n Neurose deutlich werden, aber auch die Beziehungsaspekte im Sinne von Übertragungs- und Gegenübertragungsreaktionen. Interaktionell bedeutet, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Gruppe in intensiven Kontakt kommen, Erfahrungen austauschen, über ihr Befinden berichten und sich gegenseitig Rückmeldungen geben.
Kreativtherapie:
Die Kreativtherapie findet ebenfalls im Gruppensetting statt, wobei Musiktherapie, konzentrative Bewegungstherapie und Gestaltungstherapie zur Anwendung kommen. In diesem Rahmen können die Patientinnen/Patienten lernen, ihr inneres Erleben, ihre Gefühle besser zu spüren, ihren Körper besser wahrzunehmen und sich in Beziehungen zu anderen zu erleben.
Bei bestimmten Indikationen, dies ist jedoch ein Ausnahmefall, kann ein Kreativverfahren im Einzelsetting verordnet werden.
Abgesehen davon gibt es in der Hardtwaldklinik II Gruppen mit Problem lösenden Ansätzen (z. B. Adipositasgruppe, Arbeitslosengruppe, Suchtinformationsgruppe), verhaltenstherapeutische Gruppen (z. B. Angstgruppe, Selbstsicherheitstraining) sowie eine milieutherapeutisch ausgerichtete Großgruppe. Auch das Entspannungsverfahren der progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson erfolgt in der Gruppe.
Einzelpsychotherapie:
Hier handelt es sich um tiefenpsychologisch fundierte Einzelgespräche, die Frequenz variiert einmal in Abhängigkeit vom Grad der bestehenden Störung, aber auch vom Therapieziel der Patientinnen/Patienten.
Sportliche Aktivitäten:
Diese werden individuell mit der Bezugstherapeutin/des Bezugstherapeuten besprochen und vereinbart. Hierbei handelt es sich um Angebote wie Fitnessgymnastik, Stretching, Badminton, Wassergymnastik und Wirbelsäulengymnastik .
Freizeitbereich:
Hier besteht die Möglichkeit an alternativen Angeboten wie Terrainwandern, Musikwerkstatt, Gestaltungstherapie, Körperwahrnehmung und informativen Vorträgen teilzunehmen.