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1. Allgemeines zu Essstörungen

Seit Mitte des letzten Jahrhunderts kann man in den westlichen Industriestaaten zunehmend mehr Essstörungen beobachten. Während in den Jahrhunderten zuvor teilweise verheerende Hungersnöte herrschten, die Millionen von Menschen das Leben kosteten, besteht etwa seit 1950 eine Situation des Nahrungsmittelüberflusses. Wir leben heute in Zeiten überfüllter Supermärkte bei gleichzeitigem Rückgang des individuellen Energiebedarfs aufgrund des sehr hohen Technisierungsgrades. Viele haben derzeit das Problem, sich ständig reglementieren bzw. beschränken zu müssen, um nicht im Essensüberfluss zu ersticken. Das Thema Ernährung hat in allen Medien ständige Präsens. Es wird seit Jahren von kollektivem Diätverhalten gesprochen. Lebensmittel und Schlankheitsmarkt offerieren Helfer und Light-Produkte, deren Wirkung oft zweifelhaft ist, die jedoch riesige Umsätze am Markt verzeichnen. Um besser verstehen zu können, warum Essstörungen in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen haben, ist es wichtig, sich der gesellschaftlichen Bedeutung von Ernährung bewusst zu sein. Nahrung bedeutet in unseren gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhängen nicht nur Lebensmittel und Essen. Die Nahrungsaufnahme hat auch seelische und soziale Funktionen. Essen und Trinken dient dem Genuss, der Geselligkeit oder demonstriert Familien- und Gruppenzusammenhalt. In manchen Familien treffen sich die Familienangehörigen nur noch zu gemeinsamen Mahlzeiten, nur da findet noch Austausch miteinander statt. Im Rahmen der zunehmenden Flexibilisierung, Individualisierung und Mobilisierung verliert das Ritual gemeinsamer Mahlzeiten in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Bedeutung. Fernsehmahlzeiten, fertige Tiefkühl-, Dosenmahlzeiten, Imbiss im Stehen oder Vorbeigehen, Fastfood scheinen die Ernährung heute zu kennzeichnen und stellen die Bedeutung der herkömmlichen Mahlzeit auf den Kopf. Häufig wird Nahrung auch als Druckmittel missbraucht um Macht auszuüben oder Norm zu erzwingen. Aussprüche wie „Du isst das, was auf den Tisch kommt“ oder „wenn Du nicht brav und lieb bist, gibt es keinen Nachtisch“ weisen daraufhin. Nahrung kann auch verwöhnend sein oder es werden statt eines Trostes, statt Zuwendung oder Halt Süßigkeiten oder überreichliches Essen angeboten. Zu den Funktionen des Essens gehören also Beziehungsaspekte wie Verwöhnen, Anerkennung, Rivalität, Abhängigkeit, Machtaspekte. Nahrungsmittel können Hunger stillen, wenn jedoch der Hunger auf andere Bereiche des Lebens ausgerichtet ist und andere Defizite bestehen, dann symbolisiert der Hunger auf Nahrung vielleicht andere Bedürfnisse wie zum Beispiel Zuwendung, Bestätigung oder Anerkennung.

2. Einteilung der Essstörungen

Unter dem Begriff Essstörungen werden in Deutschland im Wesentlichen drei Krankheitsbilder zugeordnet:
  • Anorexia nervosa (Magersucht)
  • Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht)
  • Adipositas (Fettsucht).
Obwohl bei allen drei deutschen Bezeichnungen der Essstörungen der Suchtbegriff beinhaltet ist, gehören Störungen auch nach internationalen Klassifikationen nicht eindeutig zu den Abhängigkeitserkrankungen. Es handelt sich vielmehr um psychosomatische Erkrankungen unter erheblicher Beteiligung sozialer Faktoren, worauf insbesondere die ungleiche Verteilung der Störungsbilder in unterschiedlichen sozialen Schichten hinweist. Obwohl sich bei den Essstörungen die drei Krankheitsgruppen beträchtlich hinsichtlich Erscheinungsbild und Psychodynamik unterscheiden, ist doch allen Personen mit Essstörungen gemeinsam, dass ihnen aus dem lebensnotwendigen Bedürfnis, der existenzsichernden Funktion Essen ein psychosomatisches Problem mit erheblichen somatischen, psychischen und oft sozialen Konsequenzen erwachsen ist. Nicht selten dominiert dieses Problem nicht nur den aktuellen Tagesablauf und die sozialen Beziehungen, sondern auch langfristig relevante berufliche und private Entscheidungen.

3. Epidemiologie (Verbreitung) von Essstörungen

Über die Prävalenz (Vorkommen) von Essstörungen gibt es erstaunlich wenig genaue Daten. Unabhängig von der genauen Anzahl der aktuell Betroffenen ist eindeutig, dass das Risiko für Essstörungen in der Bevölkerung keineswegs gleich verteilt ist. Vielmehr treten Essstörungen bevorzugt bis nahezu ausschließlich in bestimmten Gruppen auf, wobei die Prävalenz vor allem durch die Variable Geschlecht, Alter und soziale Schicht bestimmt ist. Die Unterschiedlichkeit der Verteilung der Essstörungen hängt unter anderem mit der gesellschaftlichen Normierung von Frauenkörpern zusammen, die seit Jahren das Schlanksein zum Idealtypus hoch stilisiert haben. Diesem Schlankheitsideal können sich insbesondere Frauen mit verunsicherter Identität kaum entziehen. Hinzu kommen sich widersprechende Rollenanforderungen an Frauen, die einerseits freundlich, anschmiegsam und aufopferungsvoll sein sollen, denen gleichzeitig aber insbesondere im beruflichen Bereich Durchsetzungsvermögen und Selbstsicherheit abverlangt wird. Viele Familien von Menschen mit Essstörungen weisen außerdem Umgangsmuster auf, die die Autonomie einzelner Familienmitglieder verhindert. Gleichzeitig besteht ein hoher Leistungsanspruch an den Einzelnen, dabei herrscht ein überfürsorglicher, kontrollierender Erziehungsstil bei insgesamt wenig Wärme innerhalb der familiären Strukturen. Ein weiterer prädestinierender Faktor für die Entwicklung, insbesondere einer Bulimie oder einer Adipositas, sind vorausgegangene sexuelle Traumatisierungen in der Kindheit und Jugend (DHS, 1997). Insgesamt stellen Essstörungen bei den Betroffenen häufig den Versuch einer Problem- oder Konfliktlösung dar mit – wenn auch unbewusst – nicht angemessenen Mitteln. Essstörungen sind demzufolge nicht primär Ausdruck einer Pathologie, sondern einer Reaktion auf Lebensumstände und Traumatisierungen, die das Individuum nicht anders zu meistern vermag.

4. Therapie von Essstörungen

Da unser Essverhalten sehr komplex von unterschiedlichen Faktoren gesteuert wird, sind die Strategien der Ernährungsberatungen, wenn sie sich ausnahmslos auf rational argumentative Information beschränken, wenig wirksam. Das Essverhalten der Menschen steht im Spannungsverhältnis zwischen kognitiven Prozessen, biologischer Regulation, gelernten Verhaltenskopplungen und emotionalen Faktoren und Wirkungen. Eine wirkungsvolle Therapie sollte an diesen vier Wirkfaktoren bei Essstörungen einsetzen. So ist neben einer psychotherapeutischen Behandlung - die einerseits das Essverhalten analysiert, die zugehörigen emotionalen Prozesse, Hintergründe und soziale Lage der Einzelnen berücksichtigt - Ernährungsberatung, Körpertherapie und Anleitung zur regelmäßigen gesunden Bewegung notwendig. Detaillierte Informationen zu den einzelnen in Krankheitsbildern der Essstörungen und zum ganzheitlichen Therapieansatz der Abteilung Psychosomatik/Psychotherapie der Wicker-Klinik Bad Wildungen finden Sie unter folgenden Links:
  • Anorexia nervosa (Magersucht)
  • Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht)
  • Adipositas (Fettsucht).
Verfasser: Dr. med. Gabriele Fröhlich-Gildhoff