1. Wie entsteht eigentlich eine Posttraumatische Belastungsstörung?
Eine Posttraumatische Belastungsstörung kann prinzipiell in jedem Lebensalter entstehen. Auslöser ist/sind ein Ereignis oder regelmäßige Ereignisse, die so bedrohlich sind, dass sie die individuelle Bewältigungsmöglichkeiten des Einzelnen übersteigen, mit Gefühlen von schutzloser Preisgabe und Hilflosigkeit einhergehen und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltbild bewirken.
Die Ereignisse, die eine Posttraumatische Belastungsstörung auslösen können, sind in der Regel das Erleben von direkter oder indirekter Gewalt. Formen der direkten Gewalt sind unter anderem gewalttätige Überfälle, Vergewaltigung, Folter, Geiselnahme, schwere Unfälle, Katastrophen, Kriege und sexuelle Traumatisierung in der Kindheit sowie lebensbedrohliche Erkrankungen. Von indirekter Gewalt spricht man, wenn Menschen Zeugen von schwerwiegender Gewalt werden. Dies betrifft häufig Menschen, die im beruflichen Umfeld mit Gewalt konfrontiert sind, wie zum Beispiel Angehörige der Polizei, der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes und von Rettungsdiensten.
Die meisten Menschen, die traumatischen Belastungen ausgesetzt waren, sind fähig, ihr Leben fortzuführen, ohne ständig von Erinnerungen an das Geschehen verfolgt zu werden und eine Posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln. Das bedeutet nicht, dass das Geschehene keine Spuren hinterlassen hat. Nach einem traumatischen Ereignis sind die meisten Betroffenen von diesem Erlebnis in hohem Maße in Anspruch genommen; unerwünschte, sich aufdrängende Erinnerungen stellen eine normale Reaktion auf bedrohliche Erfahrungen dar.
Dieses wiederholte Auftreten der schlimmen Erinnerungen dient der Funktion, die mit dem Trauma assoziierten (zusammenhängenden) Gefühle zu modifizieren (ordnen) und führt in den meisten Fällen zur Toleranz bezüglich des Inhalts der Erinnerungen. Einige Menschen sind jedoch nicht in der Lage, die schrecklichen Erfahrungen zu integrieren und beginnen die spezifischen Muster der Vermeidung und der Übererregung zu entwickeln, die mit der Posttraumatische n Belastungsstörung in Verbindung gebracht werden.
Was Personen, die eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickeln, von Personen, die nur zeitweilig belastet sind, unterscheidet, ist, dass sie beginnen, ihr Leben um das Trauma herum zu organisieren. Daher ist es die Beharrlichkeit der belastenden Erinnerungen und nicht die direkte Erfahrung des Traumas selbst, die als treibender Faktor hinter der physiologischen und psychologischen Dimension der Posttraumatische n Belastungsstörung steht. Obwohl die meisten Menschen, die an einer Posttraumatische n Belastungsstörung leiden, beachtliche interpersonelle und berufliche Probleme haben, variiert der Grad, in dem die Symptome der Posttraumatische n Belastungsstörung das umfassende Funktionieren beeinträchtigen von Person zu Person erheblich. Das entscheidende Element, das ein Geschehen traumatisch macht, bleibt die persönliche Einschätzung der Opfer bezüglich dessen, wie hilflos und bedroht sie sich fühlen. Daher ist, obwohl ein real stattgehabtes außergewöhnliches Geschehnis der Posttraumatische n Belastungsstörung zugrunde liegt, die Bedeutung, die das Opfer dem Geschehen zuschreibt, ebenso wichtig, wie das Trauma selbst.
2. Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung
Typische Merkmale einer Posttraumatische n Belastungsstörung sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashback, auch Intrusion genannt). Diese sind gekennzeichnet von einer Reaktivierung der traumatischen Situation mit begleitenden Bildern, Worten, Affekten, Körpersensationen, Gerüchen etc. Intrusionen sind keine Erinnerungen, sondern Reaktivierungen, an denen das Amygdalasystem maßgeblich beteiligt ist.
Die Reaktivierung kann durch vielfältige Art und Weise erfolgen: Durch Geräusche, durch Gerüche, durch Ähnlichkeiten mit Tätern, z.B. durch Stimmen oder Gesten des Gegenübers und vieles andere mehr. Traumatisierte mit einer Posttraumatische n Belastungsstörung sind in der Situation wieder drin, rutschen ab, brechen ein und haben Mühe, den Kontakt zur gegenwärtigen Realität aufrechtzuerhalten. Sie treten häufig auch in Zeiten der Ruhe oder Reizarmut, z. B. vor dem Einschlafen, auf, oder manifestieren sich als Alpträume, in denen das traumatische Ereignis kaum oder gar nicht verändert wird und wieder durchlebt wird.
Bei dissoziativen Flashbacks erleben Patienten und Patientinnen häufig qualvolle Ängste aus lebensbedrohlicher Not oder schmerzende Körperempfindungen, ohne das traumatisierende Ereignis direkt erinnern zu können. Dies ist Folge der gestörten Hippokampusfunktion, das ein episodisches Erinnern verhindert. Intrusionen können sich steigern bis zu quälenden Hypermesien, also nicht abschaltbaren Erinnerungen, die fast ständig präsent sind oder leicht angetriggert werden können. Andererseits erleben Traumatisierte mit Posttraumatische n Belastungsstörung häufig eine allgemeine Abflachung von Reagibilität (Reaktionsfähigkeit, auch Konstriktion genannt). Sie fühlen sich gefühlsmäßig dumpf, stumpf und schwingungsarm. Dies macht ein Gefühl von Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen, das Gefühl bodenloser Einsamkeit, Leere, das Gefühl, eine eingeschränkte Zukunft zu haben.
Weitere typische Symptome von Menschen mit einer Posttraumatische n Belastungsstörung sind:
- Ein- und Durchschlafstörungen,
- Reizbarkeit oder Wutausbrüche,
- Konzentrationsschwierigkeiten,
- übermäßige Wachsamkeit,
- übertriebene Schreckreaktionen.
Um sich zu schützen, finden wir bei traumatisierten Menschen häufig ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, Gespräche, Orte, die an das Trauma erinnern könnten, werden vermieden, bis hin zum sozialen Rückzug. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Drogeneinnahme oder übermäßiger Alkoholkonsum könnten als komplizierende Faktoren hinzukommen.
Die Posttraumatische Belastungsstörung folgt dem Trauma mit einer Latenz, die Wochen bis Monate, manchmal auch Jahre dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft und unter anderem durch folgende Aspekte mitbestimmt:
Merkmale der traumatischen Situation: Schwere und Dauer, Ausmaß des erlebten Kontrollverlustes.
- Fähigkeiten des Individuums, Alter und Entwicklungsstand, vorher entwickelte Bewältigungskompetenzen.
- Unweltreaktionen: Bewertung der Erfahrung durch die soziale Umwelt, Ausmaß von Schutz, Verständnis, Unterstützung durch Bezugspersonen, die soziale Gemeinschaft, professionelle Hilfe.
Als weitere Folge z. B. nach Traumatisierung in der Kindheit in Form jahrelanger sexueller Ausbeutung finden wir häufig Persönlichkeitsstörungen als Posttraumatische Belastungsstörung. Verschiedene Studien belegen, dass bei 60% bis 85% von Menschen, die eine Borderline-Störung haben, sexuelle Gewalt in der Kindheit erlebt wurde. Patientinnen mit schweren dissoziativen Identitätsstörung bzw. multiple Persönlichkeiten sind zu über 90% in der Kindheit sexuell ausgebeutet worden. Viele körperlich Misshandelte lernen mental aus ihrem Körper auszusteigen, neben sich zu treten, um möglichst wenig zu durchleiden. Diese Form der Dissoziation nennt man Depersonalisation und stellt den Versuch einer kreativen Lösung dar, um eine unerträgliche Realität durch Veränderung der Wahrnehmung zu ertragen.
Wir finden bei Menschen mit Posttraumatische r Belastungsstörung häufig autoaggressive Tendenzen in Form von Selbstverletzungen bis hin zu Suizidversuchen.
Bei den meisten Menschen mit Posttraumatische r Belastungsstörung finden wir körperliche Auffälligkeiten und Symptome. Bei sexuell traumatisierten Frauen finden wir häufig Unterleibsbeschwerden, -erkrankungen und -operationen. Dazu gehören Störungen des Zyklus, wie Dys- und Amenorrhoe (das Nichteintreten oder Ausbleiben der Regelblutung), Sexualstörungen, Fehlgeburten, manchmal völlige Anästhesie des Unterleibs. Der Körper erinnert sich an Erlebtes, ohne dass es Worte oder Verstehen gibt.
Opfer sexueller Gewalt können später Sexualität häufig nicht oder nur entfremdet erleben. Sexualität wurde ausschließlich als Bemächtigung und Gewalt erlebt, bedeutete auch Aufopferung und manchmal Beruhigung des Täters. Auch Prostitution ist häufig Folge von sexueller Traumatisierung in der Kindheit, Schätzungen besagen, dass ca. 90% der Prostituierten in der Kindheit sexuell traumatisiert worden sind.
Bei vielen sexuell Traumatisierten finden wir Symptome wie Druckgefühl auf der Brust, Würgereize, Asthma, Hyperventilation, Husten und Ähnliches. Auslöser dafür sind oft in der Vergangenheit erlebte orale Vergewaltigungen, in denen die Opfer gleichzeitig gewürgt wurden oder während dessen ihnen der Mund zugehalten wurde.
Viele der sexuell traumatisierten Menschen mit Posttraumatische r Belastungsstörung leiden zudem unter Essstörungen, die mit Übelkeit und Erbrechen, mit Kloßgefühl im Hals, bis hin zur Ausbildung einer Anorexia nervosa oder Bulimie einhergehen. Viele klagen über unerträglichen Ekel als Folge von oraler Vergewaltigung in frühester Kindheit. Wir verstehen die Essstörung mit der Verweigerung von Lebensmitteln als einen Akt der Selbstbestimmung in einem System von allgemeiner Hilflosigkeit und Auslieferung.
Häufig finden wir bei Patientinnen und Patienten mit Posttraumatische r Belastungsstörung chronische Schmerzzustände, die alle Körperregionen betreffen können. Oft sind der Kopf und der Rücken betroffen. Viele entwickeln eine Medikamenten- oder Alkoholabhängigkeit. Wir finden auch Zwangserkrankungen, wie etwa Kontroll- und Waschzwänge oder psychogene Lähmungen, bis hin zur zeitweiligen Notwendigkeit eines Rollstuhls.
Bei Menschen mit Posttraumatische r Belastungsstörung bestehen praktisch immer Schlafstörungen, dies können sowohl Ein- sowie auch Durchschlafstörungen sein.
Die Symptome der Posttraumatische n Belastungsstörung sind als Wiederholungen und Retraumatisierungen zu sehen. Sie sind Körpererinnerungen, stellen auch aggressive Mechanismen dar, sind aber auch Selbstheilungsversuche als Anpassungsleistung oder Konfliktlösungsversuche, Kommunikationsversuche und Signale.
3. Unser Therapiekonzept und Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung:
Bei der traumatherapeutischen Behandlung hat sich aus unserer langjährigen Erfahrung die Arbeit in Gruppen bewährt. Die Gruppen erleichtern es den Teilnehmern und Teilnehmerinnen schambesetzte Themen wie Hilflosigkeit, Handlungsunfähigkeit, Angst und Unsicherheit anzusprechen und im Austausch mit anderen Gruppenmitgliedern z.B. das Bild eigener Handlungsunfähigkeit und Unsicherheit im Alltag zu überprüfen und Strategien im Umgang mit dem Erlebten zu erarbeiten. Hinzu kommt die Tatsache, mit seinen Symptomen nicht alleine zu sein, sondern unter ebenfalls Betroffenen Verständnis und Empathie zu erfahren und zu erleben, dass die entwickelten Krankheitssymptome normale Reaktionen auf ein unnormales, traumatisches Ereignis sind.
Dies gilt besonders für Angehörige der Polizei und Feuerwehr oder anderen helfenden Berufen. Hier wird die Ausbildung einer Posttraumatische n Belastungsstörung mit den zugehörigen Ängsten und Schlafstörungen als besonders bedrohlich erlebt, da es dem ihnen von der Gesellschaft zugeschriebenen Auftrag widerspricht, anderen Stärke, Hilfe und Orientierung zu geben. Hier hilft die Gruppe den Umgang mit der starken Verunsicherung der beruflichen Identität zu erleichtern.
In der Einzelgesprächstherapie können die Themen der Gruppe vertieft oder ergänzt werden.
Zum theoretischen Ansatz der Traumatherapie:
Die eigentliche Traumatherapie erfolgt in drei Phasen:
Die erste Phase, auch Stabilisierungsphase genannt, dient hauptsächlich der Ich-Stärkung und der Erarbeitung eines psychotherapeutischen Basisvertrauens, das ein empathisches Auffangen von Belastungen in der therapeutischen Arbeit ermöglicht und dem Auffinden eigener Fähigkeiten und Kompetenzen dient (ressourcenorientierter Ansatz). Während der Stabilisierungsphase werden den Patienten stützende Techniken vermittelt (stabilisierende Imaginationsübungen wie sicherer innerer Ort, innere Helfer usw.), um dem Patienten das Gefühl der Eigenkontrolle und der eigenen Handlungskompetenz zurückzugeben.
Besonders bei Patientinnen und Patienten mit komplexer Posttraumatische r Belastungsstörung nimmt die Stabilisierungsphase viel Zeit in Anspruch, verschafft den Betroffenen aber erfahrungsgemäß eine erhebliche Erleichterung der bestehenden Symptomatik.
In der zweiten Phase der Therapie der Posttraumatische n Belastungsstörung erfolgt die Aufarbeitung des Traumas. Über strukturierende Verfahren wie zum Beispiel dem EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) findet eine stufenweise bewusstseinsfähige Konfrontation mit stark reduzierter Gefühlsbeteiligung statt. Diese Form der therapeutischen Arbeit verhindert kathartische Gefühlsausbrüche sowie eine gefühlsmäßige Überschwemmung im aktiven Erinnern traumatischer Szenen. Ziel dieser Phase ist die kognitive (das Erkennen, Wahrnehmen, Denken betreffende) Gedankenstrukturierung und in der Folge die Integration der traumatischen Erfahrungen in das biographische Gedächtnis der Patienten, um langfristig Flashbacks, Alpträume und Angstzustände zu beenden.
Die dritte Phase der Therapie der Posttraumatische n Belastungsstörung dient der weiteren Integration der traumatischen Erfahrungen in die Lebensgeschichte der Patienten und ganz wesentlich der Arbeit an Zukunftsperspektiven. Dies ermöglicht die Abkehr von der inneren Fixierung auf das Trauma hin zur Wiederaufnahme sozialer Kontakte und der Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit.
4. Unsere Therapiemethoden bei der Posttraumatischen Belastungsstörung:
Bei Aufnahme erfolgt zunächst die psychotherapeutische Anamnese und Diagnostik durch eine ärztliche oder psychologische Psychotherapeutin und die körperlich-medizinische Diagnostik durch einen Arzt /eine Ärztin.
Mit allen Patienten und Patientinnen wird ein auf die Bedürfnisse des Einzelnen abgestimmter Therapieplan erstellt. Das Therapieangebot umfasst regelmäßige Einzel- und Gruppengespräche (ich-strukturell modifizierte Gruppentherapie, mit verhaltenstherapeutischen Elementen), Bewegungs-/Körpertherapie, Mal-, Werktherapie oder Kunsttherapie und verschiedene Entspannungsverfahren (Progressive Muskelrelaxation nach Jakobson, Atemtherapie, EMG-Biofeedback und Atembiofeedback).
Die körperliche Behandlung erfolgt je nach Indikation.
Darüber hinaus stehen die physikalischen Therapiemethoden (Physiotherapie, Heilbäder, Sauna, Hallenbad usw.) im Rahmen der übergreifenden Angebote der Klinik zur Verfügung.
5. Übergeordnete Therapieziele für Patientinnen und Patienten mit Posttraumatischer Belastungsstörung
Das übergeordnete Ziel der Therapie der Posttraumatische n Belastungsstörung ist das Einordnen der eigenen Krankheitssymptome als normale Reaktion auf traumatische Erlebnisse, die Wiederherstellung der Überzeugung der eigenen Handlungsfähigkeit und des Selbstvertrauens sowie die Wiedererlangung und Etablierung, aber auch die Reflektion der gewohnten Leistungs- und Funktionsfähigkeit.
Die Regression im stationären Setting wird begrenzt und der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Entfaltung progressiver Momente und Kompetenzen unter Zuhilfenahme der Ressourcen der Patientinnen und Patienten.
Die individuellen Therapieziele der Patientinnen und Patienten besprechen diese gemeinsam mit ihren Therapeutinnen und Therapeuten.
6. Nachsorge für Patientinnen und Patienten mit Posttraumatischer Belastungsstörung
Um die Kontinuität der Therapie zu erreichen, sind wir im Rahmen der Nachsorge bemüht, ambulante Therapiemöglichkeiten, sofern notwendig, mit einzuleiten. Wir bieten Informationen über Anlaufmöglichkeiten an, die die Patientinnen und Patienten nach der Entlassung für sich nutzen können.
Für Patientinnen und Patienten, die über die Rentenversicherung zum stationären Heilverfahren kommen, gibt es die Möglichkeiten der intensivierten Rehabilitationsnachsorge (IRENA). Dies ist ein Nachsorgeprogramm, welches der Rentenversicherungsträger in der Nähe des Heimatortes anbietet, um die Therapieziele, die während des stationären Aufenthaltes erarbeitet wurden, im Rahmen der Nachsorge weiter zu festigen.
Verfasser: Dr. med. Gabriele Fröhlich-Gildhoff